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Litera 865 342 Ganz Madrid steht
unter Wasser
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Theaterparodien von Max Reinhardt
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SEITE 1
Don Carlos auf der Schmiere
König Philipp
Elisabeth, Gemahlin
Carlos, Kronprinz
Marquis Posa
Der Grande vom Dienst 
Die Stimme der Kritik
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Theo Lingen
Erni Mangold 
Ullrich Haupt
Heinz Reincke 
Benno Gellenbeck
Kurt A. Jung
SEITE 2
Max Reinhardt: Jubiläumsrede
(anläßlich seiner 25jährigen Tätigkeit als Direktor des Deutschen Theaters, Berlin) 
Originalaufnahme von 1930.
Das Regiekollegium
(Stimmungsbild von einer Theaterprobe)
Die Souffleuse 
Der Direktor 
Der Regisseur 
Der Schauspieler 
Der Inspizient
Der Dichter 
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Erni Mangold 
Theo Lingen
Heinz Reincke 
Kurt A. Jung 
Benno Gellenbeck 
Ullrich Haupt
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Zwischenmusiken arrangiert und gespielt von Nils Sustrate
Schallplattenfassung der Parodien: Werner Burkhardt und Hans Günter
Übernahme von TELDEC Schallplatten GmbH, Hamburg/BRD
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COVERTEXT
Dieser Spaß auf Langspielplatte will anläßlich des hundertjährigen Jubiläums des DEUTSCHEN THEATERS 1983 mit zwei Szenen und der Originalaufnahme einer Rede von Max Reinhardt an einen seiner bedeutendsten lntendanten und Regisseure erinnern. Das hier Versammelte bezeichnet Anliingc und einen Höhepunkt scines Wirkens in licrlin.
Max,Reinhardl war 1884 in das von Otto Brehm geleitete Ensemble dcs Deutschen Theaters eingetreten und hatte Erfolg als Charakterspieler. Auch schon um die Jahrhundertwende fühlte der junge Schauspicler das Bedürfnis nach künstlerischer Selbständigkeit. Der über den offiziellen Theaterbetrieb hinausdrängende künstlerische Zeitgeist kam dem entgegen. Denn zuglcich erlebte Berlin, angeregt durch Ernst von Wolzogens "Buntes Thcater", eine erste Blüte des literarischen Cabarets. Die 1901 massenweisc entstandenden "Überbrettl'· waren Produkt des Großstadt- und Nachtlebens, Sammrlpunkt von Bummrl und Bohrme, aber auch von unruhigen und suchenden Schriftstellern, Musikern und Schauspielern. Die Opposilion gegen Kaiser und Militär, Pomp und I'arncle, gegen etablicrte Macht und Kunst vermischten sich da mit hüherem Sinn und Unsinn und mit wirklichem oder nur romantischem Interesse an sozialen Fragen. Reinhardt war zu dieser Zeit Mitglied eines Kreises junger Künstler, vor allem von Schauspielern des Deutschen Thcatcrs, der sich "Die Brille" nannte und dem außer ihm u. a. die Schauspieler Friedrich Kayßler und Richard Vallentin, der Regisseur Dr. Martin Lickel und der junge Dichtcr Christian Morgenstern angehörten. Treffpunkt war eine Kneipe in der Lessingstraße und eines der Vergnügen, außer nächtelängen Diskussionen über Gott und die Welt und Polilik und Kunst, sich gegenseitig etwas vorzumachen.
Da lag, in der hitzigen und heiteren Kneipenlaune, die Parodie nahe, die komisch überzogene Darstellung dessen worüber man herzog. Uas war natürlich nicln iuctzl d:ls l hcWcr scll)sl, W11110 IIISIiIIIII(Illiil llnd AIILOi'ItIllCn,
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Schwierigkeit, einen Namen für das Unternehmen zu finden, wurde mit Goethes Behauptung beseitigt, der sei "Schall und Rauch". Das Publikum kam, zahlte und jubelte, Morgenstern konnte finanziell geholfen werden und die Idee, weiterzumachen, lag auf der Hand.
Nach mehreren Vorstellungen in der Bellevuestraße im Frühjahr 1901, die den Erfolg bestätigten, etablierte sich das Kabarett "Schall und Rauch" ab Oktober 1901 in einem Saal des Viktoria-Hotels Unter den Linden, Ecke Friedrichstraße, in den ein Parkett mit vierhundert Sitzen und eine Bühne eingebaut worden waren.
Max Reinhardt, Luise Dumont, Berthold Field, Friedrich Kayßler und Richard Vallentin waren die führenden Köpfe des neuen kaharettistischen Unternehmens; nach dem Ausscheiden aus dem Ensemble des Deutschen Theaters Ende 1901, übernahm Reinhardt auch offiziell dessen Leitung. Gertrud Eysoldt, Else Heims, Josef Kainz, Eduard von Winterstein u. a. gehörten bald zu den Gästen; neben Schauspielern wirkten Musiker wie der Geigenvirtuose Iialy und der Klavierhumorist Waldemar Sacks mit. Als Conferenciers traten regelmäßig Max Reinhardt, Friedrich Kayßler und Martin Zickel in Pierrotkostümen auf. Die Eröffnungsvorstellung im eigenen Haus am 9. Oktober 1901 soll ein Durchfall gewesen sein; dann aber begeisterte sich auch hier das Publikum an den eigentlichen "Knüllern" des Ensembles, den im Frühjahr 1901 entstandenen parodistischen Szenen aus dem Theaterleben. In ihnen traten neben den genannten Schauspielern die beliehten Charakterkomiker Viktor Arnold, Richard Leopold und lians Waßmann als Gäste auf. Die erfolgreichste dieser Parodien nun stammte von Max Reinhardt: "Don Carlos um die Jahrhundertwende", eigentlich eine "Tetralogie". Denn in "Karle, eine Diebeskomödie", einer Parodie nach Gerhart Hauptmann, legte sich Reinhardt mit dem Naturalismus an: "Carleas und Ilisande, eine Gobetinesque in fünf Verschleierungen von Ysidore Mysterlinck" machte den zeitlernen Symbolismus Maurice Maeterlincks lächerlich, in einer dritten Version erschienen Schillers liclden garals "Künstler" in einem Tingeltangcl, so der Marquis Posa als Kraftmensch Marco Iosini.
Der unumstrittene Höhepunkt aber war "Carlos auf der Schmiere" mit "Siegfried Schwachkuwskv vom Kurtheater zu Goch :I. cl. (3oche als ~ast" in der Relle des,('ärlos. I lier war es, wic in den andercn .,Vers~ioncn", nicht auf cine I':wodic Schillers,ja nicht cinma) so schr aut'cine Parodie des Provinzthcaters ahgeschen. Vielmchr rielte dcr lächerlich schwül.stige Stil dieser Szenc
clirekl :mf elen Flof~theaterpomp des Küniglichcn Schauspiclhauses am~.~Gendarmenmarkt in Berlin, "Schall und Rauch" fast gegenüber gelegen.
Die kulturell-aktuelle Frechheit dieses "Parodietheaters" wird deutlicher im Zusammenhang mit den sogenannten "Serenissimus-und KindermannSzenen", die regelmäßig improvisiert wurden. Anläßlich eines Gastspiels im Deutschen Theater, am 22. Mai 1901, ließ man in der Proszeniumsloge einen taperigen Duodezfürsten mit seinem Hofmarschall auftauchen und dumme Bemerkungen über die gespielten Szenen und das Theater von sich geben; zuerst in Verbindung mit einer "moralisch gereinigten" Fassung der "Weber" von Gerhart Hauptmann, angeblich hergestellt vom Hofmarschall Kindermann zum Geburtstag von Serenissimus. Da war alles in gemütvollen K itsch verwandelt, so daß die Szene mit einem Hoch auf den staatserhaltenden Fabrikanten Dreißiger und mit einer Hymne auf den "hohen Gast" enden konnte, worauf Serenissimus auf der Bühne an die Schauspieler Orden verteilte und die Damen huldvoll tätschelte.
Natürlich war das, in versteckter Form, ein satirischer Angriff auf Wilhelm II., sein preußisch-borniertes Verständnis von Theater und Drama, aber auch auf Künstlerkollegen, die diesen Stil mitmachten. Mit Geschick improvisierten die Schauspieler Viktor Arnold als Serenissimus und Gustav Beaurepaire als Kindermann an der strengen Zensur vorbei; als z. B. am 14. Novemher 1901 die Serenissimus-Szene prophylaktisch verboten wurde, verwandelte man die öffentliche Veranstaltung in eine geschlossene und es entstand wieder "ein recht glücklicher Abend unter Mitwirkung einer hohen Zensurbehörde" (BerlinerTageblatt, 23.5.1901).
Die Parodie auf das Theater, so auch in Szenen wie "Das Regiekollegium" und "Diarrhoesteis des Persi(legeles Durchfallstragödie in mehreren Aktionen", war die Stärke des "Schalll und Rauch"-Ensembles und uuch des zeitweiligen Autors Max Reinhardt. Freilich erreichte sie nur einen "eingeweihten" Zuschauerkreis, zu ihrem wirklichen Verständnis mußte man Schiller und besonders die zeitgenössische Literatur und das Theater kennen.
Schon im Lauf der ersten (und einzigen) Saison von "Schall und Rauch" erschöpften sich die kabarettistischen Ideen und das Interesse des auf Neuigkeiten hungrigen Publikums. Rheinhardt steuerte immer deutlicher zum Theater zurück. Das wurde durch die Aufführung von Einaktern (z. ß. August Strindhergs) deutlich, die die "Schall und Rauch"-Abende zu beherrschen begannen.
Mit dem Anfang der Spielzeit 1902/03 erhielt das Etablissement an der Lindenecke auch einen neuen Namen und hieß fortan "Kleines Theater". Mit einem Ensemble, das im Kern aus den schon in "Schall und Rauch" ;mfg.elrctenen Schauspielern hest,+ncl und mit Abendfüllenden Stücken begann Max Reinhardt hier seine ruhmvolle Laufbahn als Theaterleiter. 1902/03 entstanden wichtige Inszenierungen von Strindbergs "Rausch", Wildes "Salome" und Gorkis "Nachtasyl" (inszeniert von Richard Vallentin).
"Schall und Rauch", das parodierende Caharet, war also das "Sprungbrettl" des berühmten deutschen Regisseurs und Intendanten. In seiner Gedenkrede auf Max Reinhardt (1944) hat Thomas Mann daran erinnert: "Am Anfang der Wiedergeburt des Theaters aus dem Geiste des Theaters stand die Parodie. Wir jungen Leute in München, Mitglieder eines akademisch-dramatischen Vereins, denen die Reinhardt-Leute ihre Don-Carlos-Parodic vorspielten, lachten Tränen." Nicht zuletzt in der parodistischen Auseinandersetzung mit Richtungen des zeitgenössischen Theaters formte Reinhardt seine eigene ldee vom Theater, die er im "Kleinen Theater" und im "Neuen Theater" und ab 1905 als Intendant des DEUTSCHEN THEATERS, verwirklichen konnte.
Alexander Weigel